Von Manfred Köhler, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Offiziell ist bei der Deutschen Bahn AG noch alles klar. „Inbetriebnahme: 2017.“ So heißt es ohne Wenn und Aber in den Verlautbarungen über die 85 Kilometer lange ICE-Neubaustrecke von Frankfurt nach Mannheim. Und so bekräftigte es auch der Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube noch im September vergangenen Jahres beim „Bahngipfel“ mit Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Doch der Zeitplan wird nicht zu halten sein.
Bei der zuständigen Tochtergesellschaft DB Netz in Frankfurt mag dieser Tage niemand etwas dazu sagen. Doch in Bahnkreisen heißt es, bis 2017 sei die Eröffnung nicht zu schaffen. Denn die endlosen Diskussionen um die Trassierung in Darmstadt und zwischen Lorsch und Mannheim zeitigen Folgen.
Zu viele Hürden sind zu überwinden
Inzwischen wäre man schon froh, wenn die Eröffnung der Strecke wenigstens 2019 oder 2020 gelänge – gleichzeitig mit der Inbetriebnahme der neuen Gleisanlagen in Stuttgart oder kurz danach. Doch selbst das setzt eine deutliche Beschleunigung der Planung voraus. Denn in Baden-Württemberg ist man schon ein gutes Stück weiter: Für das ehrgeizige Vorhaben „Stuttgart 21“, die Verlegung des Hauptbahnhofs in den Untergrund, begannen die Bauarbeiten im Februar. Für Frankfurt – Mannheim aber ist ein Baubeginn in weiter Ferne.
Zu viele Hürden sind zu überwinden. Während für den ersten Abschnitt südlich von Frankfurt das Planfeststellungsverfahren läuft, steht bei Mannheim überhaupt nicht fest, wo die Züge fahren sollen. Wie in Darmstadt wird auch dort darum gestritten, wie der Hauptbahnhof angebunden wird, darüber hinaus aber auch noch, wie sich ein besonders geschütztes Waldgebiet bei Lampertheim schonen lässt.
2015 müssten spätestens die Bagger anrollen
Ohnedies stehen derzeit alle Planungen unter einem Finanzierungsvorbehalt. Zwei Milliarden Euro soll die neue Verbindung kosten – Geld, das vorwiegend der Bund aufbringen muss, nicht die Deutsche Bahn. Zwar ist die Strecke im Bundesverkehrswegeplan seit Jahren als „vordringlicher Bedarf“ aufgelistet, doch das heißt nicht viel. Zum einen hat der Bundesverkehrsminister im März eine Überarbeitung dieser Liste angekündigt. Zum anderen ist eine hohe Priorität im Bundesverkehrswegeplan nichts wert, solange es an einer Finanzierungszusage der Bundesregierung fehlt. Bei der Deutschen Bahn bleibt man in diesem Punkt freilich optimistisch – so gut wie nie habe der Bund die Mittel für ein Bauprojekt versagt, für das die Planung schon so weit vorangetrieben gewesen sei.
Selbst für eine Eröffnung der Strecke 2019 oder 2020 wird es eng. Als Bauzeit wird mit fünf bis sechs Jahre gerechnet, das lehren die Erfahrungen bei anderen Projekten dieser Art. 2015 müssten mithin allerspätestens die Bagger anrollen. Dazu müssten aber wiederum 2012 die Planfeststellungsverfahren für alle Streckenabschnitte eingeleitet sein. Und dafür schließlich müsste noch in diesem Jahr endgültig feststehen, wo die Strecke verlaufen soll, um mit der Detailplanung beginnen zu können, die ihrerseits zwei Jahre dauern dürfte. Denn ohne genaue Pläne kein Planfeststellungsverfahren.
Endlose Diskussionen
Die Deutsche Bahn hat sich daher entschieden, Schritt für Schritt vorzugehen. Bei zwei von vier Abschnitten immerhin ist die Trassierung unstrittig. Für die ersten 13 Kilometer vom Bahnhof Frankfurt Stadion am Flughafen und an Walldorf vorbei begann das Planfeststellungsverfahren Ende 2008, einen Beschluss erwartet der Konzern für Anfang 2011. Hier verläuft die Trasse zunächst entlang der Riedbahn, dann östlich der Autobahn 5. Relativ weit ist auch der elf Kilometer lange Abschnitt zwischen der Höhe von Gernsheim und Einhausen. Dort sollen die beiden Gleise östlich der Autobahn 67 verlaufen. Dieses Planfeststellungsverfahren soll Ende dieses, Anfang nächsten Jahres beginnen. Schleichend haben sich aber selbst bei diesen beiden Abschnitten schon Verzögerungen ergeben. Noch im Januar hatte die Bahn für den Teil südlich von Frankfurt mit einem Planfeststellungsbeschluss bereits im dritten Quartal 2009 gerechnet und das Verfahren für den Abschnitt Gernsheim – Einhausen schon zur Jahresmitte einreichen wollen.
Doch weitaus größer sind die Verzögerungen wegen der endlosen Diskussionen in Darmstadt und Mannheim. Bei der Anbindung Darmstadts wird nicht mehr mit einer Lösung vor der Kommunalwahl im März nächsten Jahres gerechnet. Die Deutsche Bahn bereitet ein Planfeststellungsverfahren für den 22 Kilometer langen Teil der Neubaustrecke vor, das im ersten Halbjahr 2011 beginnen könnte.
Wieviel Wald wird durchkreuzt?
Nicht weniger kompliziert ist die Lage in und um Mannheim. Hier überlagern sich zwei Probleme. Erstens: Die Deutsche Bahn will zwar eine Anbindung des dortigen Hauptbahnhofs, der zu den wichtigen Eisenbahnknotenpunkten in Deutschland zählt. Sie will aber auch einen Abzweig von der Neubaustrecke, der an Mannheim vorbei nach Stuttgart führt. In der Stadt fürchtet man, dass die ICE vor allem dort verkehren werden und Mannheim links liegenlassen – bei der Deutschen Bahn heißt es, davon könne keine Rede sein. Zweitens: Für den Abschnitt zwischen Lorsch und Mannheim stehen zwei Trassen zur Diskussion. Die längere, die zuerst der Autobahn 67 nach Süden und dann am Viernheimer Dreieck der A 6 nach Westen folgt, zerschneidet ein geschütztes Waldgebiet auf zehn Kilometern, die kürzere nur auf zwei Kilometern. Dafür führt diese schnittigere Variante „Mannheim direkt“ nahe an Lampertheim vorbei. Mensch oder Natur? Der Streit hat alle Ingredienzen, um mit deutscher Gründlichkeit geführt zu werden. Und auch die Stadt Lorsch, an der der Zug oder so vorbeifahren wird, macht es der Bahn nicht leicht: Sie wünscht sich einen teuren Tunnel.
Die Hoffnungen sind beachtlich
Im Vergleich zu solchen Fragen treten andere Hindernisse für die Ingenieure in den Hintergrund. So müssen die Gleise in Weiterstadt zwischen der Autobahn und dem Einkaufszentrum „Loop 5“ hindurchgeführt werden. Weiter südlich werden sich die Züge auch zwischen der A 67 und der Autobahnraststätte Pfungstadt durchzwängen, die dann nur noch über Brücken zu erreichen sein wird. Die Deutschen Bahn sagt zu, sie strebe sowohl in Darmstadt wie auch in Mannheim, Lorsch und Lampertheim einen Konsens an. Anders geht es auch gar nicht, denn sonst, so weiß man im Staatskonzern auch, wird der Bund kein Geld geben.
Dabei sind die Hoffnungen, die auf der Neubaustrecke ruhen, beachtlich. Sie wäre der Schlussstein einer Schnellverbindung von Köln bis kurz vor München, quer durch die Bundesrepublik. Im Internet wirbt der Konzern mit einer Verkürzung der Fahrzeit von Frankfurt-Flughafen nach Stuttgart von 70 auf 53 Minuten – die freilich nur Wirklichkeit wird, wenn die Züge an Mannheim vorbeifahren, was man dort mit aller Kraft und einigen Erfolgsaussichten verhindern will. Auch sonst aber werden die Fahrzeitgewinne Richtung Süden noch erheblich sein. Nur traut sich niemand mehr zu sagen, wann aus den Visionen je Wirklichkeit wird.
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